Zum Ausklang des Schuljahres im Kammermusiksaal der Philharmonie war das Sinfonieorchester des Musikgymnasiums Carl Philipp Emanuel Bach am letzten Samstagabend noch einmal mit einem ambitionierten, anspruchsvollen Programm zu hören.
Die Ouvertüre zur Operette „Die Fledermaus“ von Johann Strauss bildete den Auftakt der musikalischen Darbietungen, ein feuriges, technisch anspruchsvolles Stück, das - wie jeder gelungene Ohrwurm intelligenter Unterhaltungsmusik - ein sicheres Timing der musikalischen Akteure voraussetzt. Hier konnte man sich davon überzeugen, wie sehr das organische Zusammenwirken der einzelnen Instrumente im Orchester gelingt, wenn alle Musikerinnen und Musiker klar und besonnen agieren, präzise aufeinander achten und mit sicherem Gespür für das richtige Maß aus dem ausbalancierten Klangbild des Ensembles hervortreten. Darüber hinaus beeindruckten die Musikerinnen und Musiker durch ihre Geistesgegenwart, die für die Gestaltung der zahlreichen Charakterwechsel erforderlich ist, bei denen Tempo, Takt und Dynamik ständig und unvermittelt neu justiert werden müssen. Die Präzision im Zusammenspiel, in Artikulation und Intonation war bestechend. So entwickelte sich eine stabile, in sich stimmige Interpretation, der durch das unbeirrbare Tempo rubato der kleinen Trommel in den Walzer-Passagen, das normalerweise Sache einer Melodiestimme ist, eine unverwechselbare Note verliehen wurde.
Dieses beeindruckende Ergebnis einer erfolgreichen Orchestererziehung durch den von den Mitgliedern des Orchesters hoch geschätzten Dirigenten Samuel Lee fand dann in den anderen Stücken des Abendprogramms Bestätigung, in denen es jetzt allerdings darauf ankam, sowohl eine anspruchsvolle Kunstmusik zu gestalten als auch einen Solisten wirksam zu begleiten und ihm dadurch die gebührende Geltung zu verschaffen.
Noch immer wird die Musik Edward Elgars im Wesentlichen als nationale Angelegenheit der Briten aufgefasst, was daran zu erkennen ist, dass der Name Elgar in der musikwissenschaftlichen Literatur bisher nur als „Fußnote zur Kompositionsgeschichte“ (Guido Heldt) in Erscheinung getreten ist. Sein Cellokonzert in e-Moll, op. 85, jedoch behauptet spätestens seit den Aufführungen durch Jacqueline du Pré und Johannes Moser einen festen Platz im internationalen Konzertbetrieb. Es ist ein melancholisches Werk im spätromantischen Stil, der just zu der Zeit, in der es komponiert wurde, in England endgültig aus der Mode zu geraten und durch eine Neue Sachlichkeit verdrängt zu werden drohte. Philipp Schupelius (Abiturabschlussjahrgang 2022) widmete sich dem Werk mit einer Entschlossenheit, die der Sache guttat. Zu keinem Zeitpunkt war seine konzentrierte und besonnene Darbietung durch Übertreibungen gefährdet. Mit natürlicher Unbefangenheit ergriff er die großen Gesten der Cellopartie, in denen sich eine tiefe Traurigkeit Bahn bricht, und gestaltete sie mit klugem Ernst. Dabei wurde er unterstützt durch ein präzise agierendes Orchester, das den sich über vier Sätze ausbreitenden romantischen Monolog des Solo-Cellos mit der gebotenen Zurückhaltung begleitete und dennoch für sehr viel Spannung sorgte.
Im Gegensatz dazu ist das Violinkonzert in D-Dur, op. 77, von Johannes Brahms als Dialog gleichberechtigter Partner angelegt. Das Orchester ist hier wesentlicher Träger der musikalischen Gestaltung. Und die Fülle der Gestaltungsmomente, die im Spiel sind, macht das Werk für alle Beteiligten zu einer hochanspruchsvollen Herausforderung. Genau das aber gilt als Markenzeichen des Komponisten: Johannes Brahms verstand sich als Künstler, der – anders als die Verfechter der sogenannten „neudeutschen Schule“ und Anhänger Richard Wagners – nicht den Wandel der Musik vorantreiben, sondern eine Musik komponieren wollte, die diesem „historischen Wandel durch ihre Qualität überhoben sei“ (Christian Martin Schmidt). Brahms blieb bei den klassischen Formen und suchte sie durch außerordentlichen künstlerischen Gedankenreichtum unter Spannung zu setzen. Dazu zählt, dass die Idee der Durchführung von den ersten Takten an im Spiel ist, alle Instrumente darin verwickelt werden und durch das Prinzip der „entwickelnden Variation“ dafür gesorgt wird, dass niemals ein musikalischer Gedanke zweimal auf die gleiche Art und Weise präsentiert wird. Zusammen mir dem Solisten Michael Lewin (ebenfalls Abiturabschlussjahrgang 2022) zeigten sich die Musikerinnen und Musiker des Sinfonieorchesters unserer Schule dieser Herausforderung in beeindruckender Weise gewachsen. Dass junge Menschen – im Gegensatz zu dem, was die Alten gerne behaupten – nicht nur talentiert, sondern auch intelligent genug für die Kunst sind, war hier mit Händen zu greifen. Die komplexe Struktur der Musik wurde aufmerksam und konzentriert erfasst und ausgestaltet, ohne dass der rote Faden in dem Reichtum der musikalischen Einzelheiten verloren zu gehen drohte.
Alles in allem eine Leistung, die nicht nur vom Publikum, sondern auch von Astrid-Sabine Busse, Senatorin für Bildung, Jugend und Familie, nach dem Konzert enthusiastisch gefeiert und mit großem Applaus bedacht wurde. Hingerissen von der Professionalität der jungen Musikerinnen und Musiker fasste sie ihre Liebeserklärung an unsere Schule in die Worte: „Ihr seid wirklich Weltklasse!“ JR